Der Dreißigjährige Krieg
oder die Erfindung des "Magdeburgisierens"

Noch heute streiten sich die Gelehrten über den wahren Grund, der zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges geführt hat. Der „Prager Fenstersturz“? Damit begann das Ganze wohl. Aber das wahrhaft bemerkenswerte an diesem Vorfall war sicher die Adligsprechung des aus dem Fenster geworfenen Secratarius auf den Namen „von Hohenfall“. Hübsch und witzig, nicht wahr...?

Oder ist der wahre Grund der bösartige, zu allem fähige, weil aus unergründlichen Tiefen verdorbener Zeitgeist jener Epoche? Das ist die oberflächliche Begründung, die noch heute die Geschmacksnerven so manch eines Trinkgesellen am Stammtisch bei jedem Schluck leckeren Bieres wohlig zum Schunkeln bringen mögen.

Auch die die Reduzierung des Geschehens auf die beiden Helden des Dreißigjährigen Krieges Wallenstein und des Schwedenkönigs Gustav Adolf führt zu nichts. Es sei denn, dieser oder jener hat sein Historienherz bei einem der alljährlichen spectacili in Stralsund oder Wittstock verloren, bei dem sympathisch lächelnde Original-Schweden den Zünder an sogleich auf brüllende Kanonen anlegen. Die imaginären Kugeln fliegen heutzutage ins Nirgendwo, wo sie keinem etwas antun können. Das macht sympathisch, das lässt Kinderherzen hoch schlagen, das erzeugt Wohlwollen, macht parteilich. Gustav Adolf ist fortan unser Freund. Für uns Magdeburger so wie so. Wäre er nämlich rechtzeitig zur Stelle gewesen, hätte er Tilly Einhalt gebieten können. Die alte Feste Magdeburg – des Herrgotts Kanzlei - stände noch. Alles wäre anders gekommen; Magdeburg wäre heute garantiert die Hauptstadt Deutschlands, wir Magdeburger wären also wer, und der ganze Ärger der danach kam, wäre uns, den übrigen Deutschen und Europa erspart geblieben. Was hilft´s; so, wie es nun einmal gekommen ist, können wir nur ab und zu trauernd eine Blume auf das von Schinkel zu Ehren des Schwedenkönigs errichtete Kriegerdenkmal in Lützen legen. Dort, wo ein kaiserlicher Nichtsnutz seine Lebensaufgabe mit Erfolg erfüllt hat: den König vom Pferd zu schießen.

Europa davor
Während im 16. Jahrhundert des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation alles ruhig verlief, es war immerhin die längste Friedensperiode bis dato, hatten die Länder ringsum so ihre Probleme. Die suchten sie in Ermangelung geeigneter Hirnwindungen oder entsprechender friedlicher Erfahrungswerte mittels Schwert und Pulver, das ein friedlicher Mönch extra erfunden hatte, zu Land oder auch auf Schiffsplanken zu lösen.

Das Konzil von Trient brachte Ordnung in das katholische Europa und teilte es fein säuberlich in zwei Lager. Das rechtgläubige Katholische und das ein wenig weniger rechtgläubige Protestantische. Zuvor hatte der der Augsburger Religionsfrieden um 1555 dem deutsch zersplitterten Reich die erwähnte Zeit von Ruhe und sogar wirtschaftlichen Wachstums verschafft. Aber wie das so ist, getreu dem Motto: „Und willst du nicht mein Bruder sein, ...“ findet sich immer ein trefflicher Anlass zum Stänkern.

Die Protestanten aus Angst vor den richtigen Rechtgläubigen formierten sich und die katholisch geprägten Kaiserlichen ließen sich das nicht gefallen. Eine hübsche Begleiterscheinung polittaktischen Kalküls war die Parteinahme des französischen katholischen Heinrich IV. Gegenüber der protestantischen Union. Aber politischer Pragmatismus ist ja auch in heutigen Zeiten oftmals schmunzelwürdig.

Es braut sich was zusammen

Eiferer sind Leute, vor denen man tunlichst in Deckung gehen sollte. Das gilt zu allen Zeiten. Besonders aber, wenn dieser Eifer religiös geprägt ist. Ein solcher Mann, ausgestattet mit reichlicher Machtfülle und zu allem Überfluss von Jesuiten erzogen, war der Habsburger Ferdinand II.

Die Autonomie, die zugesicherte Religionsfreiheit und das demokratische Mitspracherecht der böhmischen Stände war diesem despotisch herrschenden, späteren Kaiser ein Dorn im Auge. Böhmen war ein wichtiger Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und das musste es bleiben. Komme was da wolle. Allein, den böhmischen Edelleuten wollte niemand zur Seite stehen. Sie standen allein.

Was ging nur im Jahre 1617 in den Hirnen der böhmischen Größen vor, als sie eben diesen Ferdinand zum König wählten? Zwar sicherte der ihnen die Religionsfreiheit zu. Gleich darauf aber ließ er die neu erbauten evangelischen Kirchen abreißen. Konfrontation.

Vielleicht war es geschickt inszeniert, was dann am 23, Mai 1618 geschah: Der Prager Fenstersturz. Mit diesem Ereignis hatte unser Ferdinand nun eine Menge Argumente in der Hand. Wie aber kann eine solche ungewöhnliche politische, spontan anmutende Handlung, in die etliche Leute verwickelt waren, geplant und schließlich umgesetzt werden?

Nun die Böhmen hatten in punkto „Leute-aus-dem-Fenster-werfen“ einschlägige Erfahrung. Blicken wir zweihundert Jahre zurück: Damals im Jahre 1419 wurden vierzehn katholische Herren von wütenden Vertretern der hussitischen Glaubenslehre aus dem Fenster des „Hradschin“ herunter geworfen. Diesen Fenstersturz unter vergleichbar symbolhaft, religiöspolitischen Verhältnissen in die Köpfe potentieller Täter und damit unwissentlich zu Mittätern zu machen, einzuimpfen, dürfte gewiss nicht schwer gewesen sein.

Sei es wie es sei. Mit dem zweiten Prager Fenstersturz brachte sich die schwerfällige Kriegsmaschinerie langsam aber unaufhaltsam und von selbst in Gang.