Der homo neandertalensis und sein Werkzeug

Nun, da wir uns in der Steinzeit befinden, wird sich jeder denken können, dass die Werkzeuge der Paläolithiker - woraus? - jawoll, aus Stein bestanden haben. Und da das Paläolithikum wiederum die Zeit des geschlagenen Steins ist, wird auch dem Letzten klar, dass diese Menschen Steine bearbeitet haben. Sie haben solange auf einem Stein herum geschlagen, bis er zu einem Werkzeug wurde.
Die Abfälle dieser Tätigkeit, Abschläge genannt, liegen rund um Magdeburg in unmittelbarer Nähe der Elbe zuhauf herum. Faustkeile, Schaber, oder, für unsere Freunde des Neudeutschen, „Chopper“, einschneidige  Hackgeräte oder „Chopping-tools“, zweischneidige Hackgeräte, kurz alles, was diese Geschöpfe eben damals so brauchten. Hier muss eine Manufaktur betrieben worden sein. Vielleicht Spezialisten, die sich mit der Bearbeitung von Feuerstein eine schnelle Mark verdient hatten. Bester Feuerstein, beste Güte! Kauft Leute!

Jawohl. Aber vielleicht war es auch so, dass die Leute sich mal eben ein Werkzeug herstellten, dort wo sie es gerade brauchten und nach dessen Benutzung einfach wegwarfen. Übrigens: Feuersteine sind ja eigentlich kein Steine; Fossilien sind es. Ein zusammengequetschtes Etwas urzeitlicher Quallen. Einerlei, die Abschläge sind hier überall zu finden und füllen mittlerweile die Keller der hiesigen Museen. - Und die Wohnungen archäologischer Bodendenkmalpfleger. Sehr zur Freude deren Frauen, die einen lehmverschmierten Stein in der Wohnung wohl zu schätzen wissen. Zu Recht: Denn die Abschläge sind schon etwas besonderes. Es sind gewissermaßen die Späne, die bei der Herstellung der Faustkeile so anfielen.

Wie so ein Faustdinges hergestellt wird? Kein Problem! Zunächst fischen wir uns, genau wie ein Urmensch, eine bergfrische Feuersteinknolle aus der Elbe. Keinesfalls darf sie im Trockenen gelegen haben. Sonst wäre die Knolle wegen der Sonneneinwirkung für den späteren Gebrauch zu spröde und die Abschläge würden überall absplittern, nur nicht von dort, wo sie es sollen. Das wussten die Gesellen von damals auch schon. Ein kurzer trockener Schlag gegen die obere Kante der Knolle, und schon ist unser erster Abschlag fertig. Um den geht es aber nicht; der bleibt dort liegen, wo er hingeflogen ist. Den findet vielleicht mal später ein Archäologe und wundert sich, warum wir in der heutigen Zeit noch Abschläge hergestellt haben.
Die Stelle an der Knolle, wo das halbrunde Stück fehlt, wird ab sofort Schlagkante genannt. Sie ist hoffentlich schön gerade und glatt. Von dort werden die nächsten Schläge angesetzt. Dabei fliegen immer weiter Abschläge herum, lauter nutzloses Zeug. Sie alle sind sich irgendwie ähnlich. Einem Abschlagsspezialisten sagen sie sofort: "Ich bin ein Abschlag." Weil er nämlich mehrere unverkennbare Merkmale besitzt. Unter anderem sind das der Schlagpunkt, einem kleinen, millimetergroßen, dunklen Punkt auf der Schlagfläche, der von dem harten Schlag herrührt, einen SchlagbuckelBulbus,  und die Strahlenringe. So ähnlich, wie man all das bei Glasscherben sehen kann. Jedenfalls fliegen uns die Splitter solange um die Ohren, bis ein wunderschöner Faustkeil in unseren Händen liegt. Wie in den guten alten Zeiten unserer Urmenschen.

Würde man die Abschläge eines Faustkeils finden, sie zusammenkleben und den entstehenden Hohlraum mit Gips ausgießen, dann - glauben Sie´s ruhig - würden wir einen wunderschönen, zu nichts zu gebrauchenden Gipsfaustkeil erhalten. Hat schon mal jemand gemacht. Einer, der gerade mal nichts besseres zu tun gehabt hatte. Aber sonst wüsste es ja auch keiner.

Nun, da Sie das wichtigste Utensil, die universelle Hammerzange unserer Urmenschen, selbst herstellen können, werden Sie sehen, wie mühelos Sie damit an das leckere Knochenmark selbst erjagter Tiere herankommen. Sicherlich kann man damit wie wild um sich schmeißen.
Diese kuriose Idee hat mal jemand wissenschaftlich zu begründen versucht. Die Form würde den Faustkeil besonders flugtauglich machen. Na, ja. Beweisen kann es wohl keiner, ob diese Menschen sich damit lieber gegenseitig, oder wilde Tiere beworfen haben. Schließlich besaßen sie auch grazile Lanzen, wie unlängst im Braunkohlenrevier bei Schöningen entdeckt. Auch schon fast in der Nähe Magdeburgs. Dort wurden zahllose Wildpferdskelette gefunden. Und ein paar von den Speeren. Vorn angespitzte Baumstämme, mit denen die armen Pferdchen getötet worden sind. Zuvor waren die von gemeinen Urjägern in einen Abgrund gejagt worden. Aber eine Korrektur ist nötig: Mögen die Lanzen auch noch so unbeholfen aussehen, in ihren Wurfeigenschaften nehmen sie es locker mit einem neuzeitlichen olympischen Damenwurfspeer auf.

Was gibt es noch über diese Zeit zu sagen? An den Felsen konnte Homo erectus noch nicht herummalen. Aber ritzen konnte er. Überall, wo er meinte es zu müssen, ritzte er herum. Gerade Striche, parallel nebeneinander angeordnet, ritzte er sie besonders gern auf die Knochen verspeister Tiere. Warum, weiß keiner.

Die Saale-Eiszeit, oder für unsere Freunde aus Österreich, die Riß-Eiszeit  kündigt sich an. Unser Homo erectus bilzingslebenensis geht von hinnen. In unserem Bilzingsleben wird es still. Von unseren Auchéelenern ist nicht mehr viel, außer ein paar Spätauchéelenern, zu entdecken; sie verschwinden so langsam und allmählich. Auch sie, wie die anderen zuvor, haben es nicht verstanden, mehr aus ihrem Leben zu machen.

(Ein paar von ihnen soll es jedoch noch geben. Ein Geheimtipp: Fahren Sie mal nach Magdeburg, Schönebeck und Umgebung! Dort hat sich eine besondere Sprache herausgebildet: Die linguae magdeburganorum. Wen es interessiert, der lese es unter der Rubrik: "Sammelsurium - linguae magdeburganorum" nach.)

Jetzt sind die Neandertaler dran. Während die Gletscher wieder dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind, nach Skandinavien nämlich, macht dieser neue Homo, dieser Homo neandertalensis sapiens sein Tal unsicher. Und garantiert auch noch andere Gegenden. Besonders die Gegend im Norden von Magdeburg. Dort sind sie in Massen gefunden worden. Dieser Mensch also ist es, der den Faustkeil zu einer nie wieder erreichten Blüte bringt. Wozu auch. Spätere Menschen hätten damit nichts anzufangen gewusst. Und vielleicht auch er selber nicht. Keine noch so geringe Kratzspur an einem dieser Faustkeile könnte uns sagen, wozu diese Dinger gebraucht worden wären. Ein gar sehr schlauer jetztmenschlicher Wissenschaftler behauptete, es würde sich wegen ihrer hervorragenden ballistischen Eigenschaften um Wurfgschosse handeln. Na, ja...

Wahrhaft kunstvoll zubereitet, diese Gegenstände, perfekt retuschiert; selbst ein in paläolithischer Hinsicht völlig lethargischer Jetztmensch würde sie erkennen. Dieser Neandertaler war ein gewandter, mutiger Jäger. Die Spuren, die er hinterließ, weisen auf einen feinsinnigen Menschen hin, der seine Umwelt bewusst wahrnahm. Er war ein gestaltender Künstler, einer, der sein Werkzeug nicht nur geschickt herzustellen wusste,

sondern, der es auch noch verzierte. Der Vorstellungen vom Tod hatte. Und seine Toten liebevoll begrub. Kurz, er war ein wahrhaft kultivierter Kerl. Wenn das nur nicht mit diesen Augenwülsten, dem Stiernacken und dem fehlenden Kinn gewesen wäre...


Zum nächsten Kapitel:

- Die Neuen kommen; alles wird anders
- Lebten wir gemeinsam und (!) einträchtig mit dem Neandertaler
- Ein Mischling?