Die ersten Magdeburger

Urzeit war es,
da Ymir hauste:
nicht war Sand 
noch See
noch Salzwogen,
nicht Erde unten
noch oben Himmel,
Gähnung grundlos,
doch Gras nirgends.




So war das also damals. - Es sind die Worte der Großen Seherin. Nachzulesen in der „EDDA“. Dort erklärt uns die alte Dame den Anbeginn allen Seins. Im Auftrage keines geringeren als Wotan höchstpersönlich tut sie das. Und der muß es wissen. Schließlich ist er der Chef der Götterwelt. Zumindest der germanischen.

Halt! Stop! Die germanische Göttersippschaft war anno dazumal noch gar nicht in Mode. Noch lange nicht. Da waren andere mit ihren Göttern lange vorher hier.

Stellt sich die Frage: Wann soll man mit einer seriösen Berichterstattung über die Magdeburger Besiedlung starten? Vor den Eiszeiten? Vor welcher? Nach der letzten? Oder sollen wir ganz einfach mit dem Paläolithikum einen Anfang suchen? Das ist lang und beginnt schon vor zwei Millionen Jahren.

Lassen wir unsere Zeitrechnung ganz einfach vor 350.000 Jahren beginnen. Das ist die Ära, die vor der vorletzten Eiszeit begann, der Saaleeiszeit. Die fand, wie sich der gewitzte Leser denken kann, natürlich nicht nur an der Saale statt, sie drang bis dorthin vor. Dort befinden wir uns in der Steinzeit. Nun, die ist, wie gesagt, recht lang. Der Übersichtlichkeit halber hat sie ein gewisser J. Lubback im Jahre 1865 in die Altsteinzeit, der Zeit des „geschlagenen Steins“ und in die Jungsteinzeit, der des „geschliffenen Steins“ unterteilt. Aber darauf kommen wir noch zu sprechen.

Nein, nein, so geht das auch nicht! Wenn wir von Urmenschen reden, die als erste unsere Gegend unsicher gemacht haben, müssen wir wissen, wo sie überhaupt hergekommen sind.
Sie kommen, sehr zum Ärger so manchen Rassenfans aus Afrika. Dort ist die Wiege der Menschheit. Mittlerweile weiß das jedes Schulkind. Aber es ist eine spannenden Geschichte: Irgend wann gab es einmal in den dichten Regenwäldern Zentralafrikas einen Menschenaffen, der gemeinsam mit unserem Cousin, dem Schimpansen, ein Vorfahre von uns ist. Der lebte vor vielleicht fünf Millionen Jahren einträchtig mit allen Tieren in seinem Wald und aß Bananen und nur ab und zu mal, quasi als Kompott, einen Artgenossen.

Irgendwann aber war es mit dieser Idylle Schluss. Durch die Bewegungen im Erdinnern entstand langsam und allmählich ein tiefer Graben, der das Land fein säuberlich in West und Ost trennte. Und damit unsere Urgroßeltern von ihren Brüdern und Schwestern. - Ein Schelm, der jetzt eine Metapher zu gewissen neuzeitlichen, weniger lange zurückliegenden Ereignissen vermutet.

Unsere westlichen Urahnen lebten weiter in Saus und Braus und besaßen Bananen im Überfluss. Im Osten aber gingen die Bananenreserven wegen des veränderten trockeneren Klimas so langsam zur Neige. Die Wälder verschwanden; eine große Steppe entstand. Die Savanne.

Eine Weile kauten unsere östlichen Menschenaffen an Stöckern herum, bis einer auf die Idee kam, einmal Fleisch zu probieren. Tiere gab es schließlich mittlerweile genug. Kein Wunder, hier hatten die großen Elefanten und Naßhörner, die ersten Pferdchen und so manch anderes schmackhaftes Getier, was die dichten Urwälder meidet, so richtig Auslauf. Tja, dieses neue Essen, dieser Bananenersatz, dieses F L E I S C H, schmeckte gar nicht mal so schlecht. Auch wenn man sich erst einmal nur an kleine Tierchen heranwagte. Vielleicht nur an Mäuse oder Aas. Man gewöhnte sich an dieses Art des Essens und wagte sich mehr und mehr an größere Tiere heran.

Fleisch ist, wie jeder weiß, eiweißhaltig und eben dieses Eiweiß ist der Intelligenz recht dienlich. So wurden unser Ostafrikaner langsam und allmählich klug und ließen davon ab, auf allen Vieren zu laufen. Somit hatten sie ihre Hände frei, die sie für Besseres zu gebrauchen lernten.
So einfach war das.



Was aus diesen Steppenaffenmenschen, fortan Hominiden genannt, wurde, ist mittlerweile bekannt. Sie eroberten sich die Welt und wenn nicht ab und zu eine Eiszeit Ärgeres verhindert hätte, wären längst alle Tiere von ihnen vertilgt worden. Denn irgendwann, als sie noch intelligenter geworden waren, merkten sie, dass die ewige Herumjagerei wohl doch zu mühselig ist. Und dass mit der zu gewinnenden Freizeit sinvolleres anzufangen ist. So begannen sie irgendwann einmal Getreide anzubauen. Aber soweit sind wir mit unserer Geschichte noch lange nicht. Erst müssen einige Arten dieser und anderer Hominiden die Weltbühne betreten und wieder verlassen.

Zurück aber zu jener Zeit, so ungefär um 248.532 vor Christi Geburt. Dem Paläolithikum, und zwar in der sogenannter Holstein-Warmzeit. Da liefen in unserer Gegend ein paar Leute vom Typ des fleischessenden Raubmenschen der Art des Homo erectus herum, die brauchbare Spuren hinterlassen haben. Auswanderer, die eigentlich im französischen Saint Acheul zu Hause waren. Na, ja, nicht wirklich nur dort. Andere ihrer Artgenossen lebten zur gleichen Zeit auch in Tansania und Java.

Weit gereist war er, der Homo erectus, wie man sieht.

In unseren Breiten gab man ihm den Spitznamen Jungacheuléener. Nicht weil es unter denen keine alten Leute gegeben hätte, sondern weil es beinahe die letzten Acheuléener waren, bevor die Neuen, die aus dem Neandertal kamen.

Aber davor schreiben wir noch das Zeitalter des Spätacheuléens, vor ungefähr 350.000 Jahren. Damit es jeder vernünftig aussprechen kann, reden wir auch von den letzten Frühmenschen. Die ließen sich gerade mal dort nieder, wo sie ein wohlgeformtes Tier erlegt hatten und bauten sich eine hübsche, kreisrunde, stets nach Südosten hin offene Hütte. Um deren Grundriss stapelten sie die größten Knochen des erlegten Großwildes, steckten kreisförmig Holzstangen und paar Elefantenstoßzähnen in die Erde, banden sie oben zusammen und spannten schließlich ein paar Felle darüber. Glaubt man wenigstens, dass sie es so gemacht haben.

Wie in Bilzingsleben, gleich um die Ecke. Neben den Eingängen bereiteten sie sich ein Feuerchen. Es ist übrigens das älteste von Menschen entfachte Lagerfeuer Deutschlands, an dem sie sich ihr leckeres Waldnashornsteak brutzelten. Solange, bis ihr Bäuche zum Platzen voll waren. Erst als sie letzte Miezekatze verspeist hatten, die Gegend von allem Getier wie leer gefegt war und der Hunger sich wieder gemeldet hatte, sind auf und davon gezogen. Später, als sich die Elefanten wieder eingestellt hatten, werden sie wieder gekommen sein. Überhaupt scheint es ein Lagerplatz gewesen zu sein, der regelmäßig aufgesucht und wieder verlassen wurde.

Woher man das alles weiß? Purer Zufall. Wenn es zu der Zeit damals nicht so schön warm gewesen wäre und es keinen Kalk in der Gegend gegeben hätte und sich kurz nach dem Verschwinden unseres Homo erectus kein Wasser über den Lagerplatz gesammelt hätte, so hätte sich kein Travertin bilden können. Dieses Zeug hatte alles fein überzogen und haltbar gemacht. Selbst Pflanzenreste. Und sogar Teile einer Stoßlanze. Glück muss man halt haben.

Schädel des Homo erectus bilzingslebenensis Wenn man darauf vertraut, dass in den drei Behausungen jeweils vier bis fünf Urmenschen lebten, war es also eine zehn- bis fünfzehnköpfige Gruppe. Frühmenschen, die genau wussten, was sie taten. Planmäßig bereiteten sie sich Werkzeuge zu, mit Hilfe derer sie sich Werkzeuge herstellten. Das macht nur jemand, der einigen Grips besitzt. Und sie werden sich schon ein wenig unterhalten haben, von diesem und jenem und überhaupt.

Aber es kommt noch besser: Es sieht sogar so aus, als wenn sie eine Art Todesritus hielten, in dem sie ihre Toten verspeisten. Zumindest deren Hirn. Das war kein Kannibalismus, wie man ihn in späteren Zeiten den Kariben zur eigenen (europäisch zivilisierten) Rechtfertigung zutraute. Vielleicht glaubten sie, dass sie auf diese Weise in ihnen weiterleben konnten. In einer Gesellschaft, in der alles nur über das Essen funktioniert, wäre das nicht ausgeschlossen. Und dass sich im Kopf so allerhand Wichtiges abspielt, haben sie vielleicht auch schon erahnt.

Ein paar Meter von ihren Behausungen entfernt hatten sie sich eine schöne, glatte Fläche aus Travertingestein gepflastert. Was sie dort trieben, wenn sie gerade mal kein Hirn von der lieben Omma verspeisten, weiß keiner mehr.

Vielleicht bewunderten sie von hier aus, diesem heiligen Ort, die Nordlichter, die zu dieser Zeit überall in unseren Breiten aufleuchteten. Das lag, nebenbei bemerkt, am magnetischen Nordpol. Der befand sich damals, nicht weit von uns entfernt, im nordöstlichen Festland.


Zum nächsten Kapitel:

- Der homo neandertalensis
- Seine Werkzeuge
- Die Herstellung eines Faustkeil.