
ie Urwälder des Harzes dampfen. An einigen wenigen Stellen durchdringt
die spätherbstliche Morgensonne die Baumwipfel und sendet breite Lichtstreifen auf den Waldboden herab. Die mit dichtem Moos und Farnkräutern bewachsene, mannshohe Luftwurzel eines Baumriesen wird in ein grelles Grün getaucht. In den Furchen des Baumes verschwindet ein handtellergroßer Eichenbock. Daneben blinkt das von Myriaden winziger Wasserperlen gefädelte Netz einer Kreuzspinne. Äste knacken. Durch die Wurzel tappst ein Bär und sucht im Strauchwerk nach ein paar übriggebliebenen Beeren. Ein Eichelhäher schreit. Der Bär hält inne und richtet sich
auf. Plötzlich flüchtet er ins Unterholz.
Aufschlagende Pferdehufe lassen den Waldboden erzittern. Gleich darauf prescht ein Krieger im gestreckten Galopp vorbei. Seinem Pferd fliegen Schaumflocken aus dem Maul.
Erschöpft wirft sich der Bote vom Pferd und reißt sich die Kapuze seines Kettenhemdes vom Kopf.
Ihr habt einen Sohn, Herr, keucht er und kniet vor Heinrich nieder. Einen Sohn
habt Ihr!
Die Augen des sechsunddreißig Jahre zählenden Herzogsohnes blitzen auf, als er die Botschaft vernimmt. Ein Ruck geht durch seinen mächtigen Körper. Tief atmet er ein und hebt langsam
den Blick. Der Wind legt ihm eine Strähne seines schulterlangen Haares ins Gesicht.
- Ein Sohn also. Dem Himmel sei Dank. Wer immer auch darinnen wohnen möge.
Der gerade im Aufbruch befindlichen Jagdgesellschaft zugewandt ruft er: Ihr habt es gehört. Ein weiterer Sohn ward mir geschenkt. Die Geschlechter Liudolfs und Widukinds haben einen neuen Nachkommen. Doch nun laßt uns, wie verabredet, den Freuden der Jagd nachgehen. Am Abend dann, werden wir es uns gemeinsam bei Bier und Fleisch am Feuer wohl sein lassen.

So wollen wir mit der Geschichte Otto des Großen beginnen.
Es ist der 22. November des Jahres 912 und der
Ort... Es könnte Heinrichs Jagdpfalz Bodfeld gewesen sein, ganz in
der Nähe des heutigen Rübelandes.
Von der Kindheit und Jugend Ottos ist wenig überliefert.
Zusammen mit seinen Brüdern Heinrich und Brun wird er von Matthilde
an die schönen Nebensächlichkeiten des Lebens herangeführt,
von seinem Vater oder einem seiner Vertrauten an den handfesteren Gebrauch
des Kriegsgerätes. Wie sich zeigen wird, ist nicht Schreiben und Lesen,
Bücher und eitler Schnickschnack die Welt des Jungen. Jagen und Kämpfen
um so mehr.
Sehr zum Verdruß der Mutter. Da ist doch
der als Königsohn geborene Heinrich aus anderem Holz; der besucht
regelmäßig die reich ausgestatte Klosterbibliothek, um sich
zu bilden. Er ist gewandt und umgänglich. Otto aber, ist unbeherrscht
und jähzornig, ohne Sinn für die feineren Dinge. Keine Träne
beeindruckt ihn, niemand scheint sich ihm offenbaren zu wollen.Was aber
noch schlimmer ist, er hält es offensichtlich mit den verdammenswerten,
heidnischen Bräuchen. Kein Wunder, viel zu oft haust er in den Wäldern
oder auf diesem teuflischen Felsen, diesem Magadoburg. Niemals wird er
ein rechter Christ. Mich deucht, er tut nur so.
In den Jahren 928 und 929, Heinrich I. ist bereits
das neunte Jahr König über das fränkisch-sächsische
Reich, taucht Otto wieder in der Geschichtsschreibung auf...
Erstmals nimmt er an Kämpfen gegen die Slawen teil.
Nach vielen Gefechten und der Belagerung Brennaburs (Brandenburgs) wird der Burgenmittelpunkt der Heveller eingenommen und
verwüstet. Dort nimmt er eine Gefangene zur Geisel. Es ist die Tochter
eines hochangesehen slawischen Adligen. Sie wird die Mutter Ottos ersten
Sohnes, Wilhelm, dem späteren Erzbischof vom Mainz.

Noch im gleichen Jahr wird Otto heiraten. Eine andere. Es ist die Schwester
des angelsächsischen Königs Aethelstans, der sicherlich noch
immer in enger Verbindung mit seinen Blutsbrüdern, den Festlandsachsen
steht. Als Morgengabe bittet Otto seinen Vater, seiner Braut die Burg Magadoburg
schenken zu dürfen. Wie wir heute wissen, hat Heinrich seinem Sohn
die Bitte gewährt. Und es sollte sich als Glücksgriff erweisen.
Wie alle seine Entscheidungen, die seinen Lieblingssohn und große
Hoffnung betrafen...
- Vor der Mauer der Jagdpfalz Bodfeld geht ein Mann ein wenig vornübergebeugt auf und ab. Seine grauen Haare reichen ihm bis an die Schultern. Es ist Heinrich I., König über das
fränkisch-sächsische Reich.
Otto wird wissen, was er für richtig hält. Er kennt ja schließlich diesen geheimnisvollen Ort an der Elbe besser, als ich. Hat er doch von hier aus seine ersten Ruhmestaten gegen die Heveller erstritten. Ja, sogar eine Geisel hat mein geliebter Recke von dort mitgebracht.
Er lacht kurz auf.
Gesträubt hat sich die Tochter dieses slawischen Edlen offenbar nicht. Hätte sie ihn sonst erhört? Nun, für den Enkel wird, wie es sich ziehmt, standesgemäß gesorgt.
Jawohl, dieses Magadoburg, es wird uns, wenn wir es ausbauen, sicherlich noch von Nutzen sein. Die Hunnen geben doch keine Ruhe. Womöglich sind jetzt die Heveller, nachdem wir ihnen diese schmähliche Niederlage beigefügt haben, auch mit ihnen im Bunde. Die Daleminzer
sowieso. Und ist der Vertrag mit den Ungarn erst abgelaufen, werden sie sich wieder auf ihre Pferde werfen. Was dann passiert, das möchte ich nicht einmal träumen. Ein zweites Mal wird mir das Glück nicht hold sein und einen Ungarenfürsten als Geisel bringen. Haben wir aber die Slawen unterworfen und unsre Kräfte im Kampfe gestählt, dann sollen sie nur kommen...
Ja, und die
ecclesia catholica wird diese Aktivitäten wohlwollend betrachtet haben.
Hatte sie doch neue Schäfchen in Aussicht...